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"Diese Sportler müssen wir mehr schützen"

15. April 2020

Auch die Paralympics in Tokio werden um ein Jahr verschoben. Einige Para-Sportler gehören der Coronavirus-Risikogruppe an. Für sie ist der Alltag ein täglicher Spagat zwischen Training und Schutzmaßnahmen.

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Basketball bei den Paralympische Sommerspiele 2012
Rollstuhl-Basketballerin Annabel Breuer bei den Paralympics 2012 in LondonBild: picture-alliance/DBS-Akademie gGmbH/R. Kuckuck

Annabel Breuer geht es wie so vielen anderen Sportlern in diesen Wochen und Monaten. Tagein, tagaus lediglich Krafttraining in den eigenen vier Wänden. Sie kann es deshalb kaum erwarten, dass sich die Hallen wieder öffnen und sie ihrer Leidenschaft nachgehen kann: dem Para-Basketball. Die 27-Jährige muss in dieser außergewöhnlichen Pandemie-Zeit allerdings ganz besondere Vorsicht walten lassen.

Breuer ist nach einem Autounfall seit Kindertagen querschnittgelähmt und gehört damit einer Risikogruppe an, die es unbedingt vermeiden sollte, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. "Ich bin schon relativ hoch gelähmt. Wenn ich erkältet bin oder einen Husten habe, fällt es mir schwer, den Schleim abzuhusten und dadurch ist meine Lunge anfälliger für Entzündungen", sagt Breuer der DW.

Doch irgendwann wird es auch für sie und die vielen anderen Para-Sportler mit dem sportlichen Alltag weitergehen - auch wenn das Virus dann noch nicht verschwunden sein wird und das Risiko einer Infektion weiterhin besteht. Und es stellt sich nicht nur für Breuer, die mit den Rollstuhl-Basketballerinnen in London 2012 Paralympics-Siegerin wurde, die Frage: Ist eine optimale Vorbereitung für die Paralympics 2021 in Tokio, für die sie und ihr Team schon qualifiziert sind, überhaupt möglich?

Bestimmte Sportler müssen geschützt werden

"Für alle vermutlich nicht", sagt Anja Hirschmüller, leitende Ärztin Leistungssport im Deutschen Behindertensportverband (DBS). "Das hängt sehr von der Sportart ab. Individualsportarten haben weniger Probleme, ihre Trainingseinheiten anzupassen. Die Mannschaftssportarten haben es deutlich schwieriger, weil dort Infektionen schneller weitergegeben werden können. Da muss man ganz genau hinschauen, wie man das Training organisiert", sagt Hirschmüller.

Ärztin Anja Hirschmüller will bei den Paralympics-Vorbereitungen "genau hinschauen"
Ärztin Anja Hirschmüller will bei den Paralympics-Vorbereitungen "genau hinschauen"Bild: picture-alliance/dpa/F. von Erichsen

Die Besonderheiten des Para-Sports liegen vor allem in den individuellen Beeinträchtigungen der Athleten. "Ein peripher gelähmter Sportler oder jemand mit einer Amputation hat weniger Probleme als etwa ein höher querschnittgelähmter Athlet. Diese Sportler müssen wir mehr schützen", erläutert die Ärztin.

Sportler mit Autoimmunerkrankungen sind besonders gefährdet. Bei Autoimmunerkrankungen handelt es sich um chronisch entzündliche Prozesse. Eine zentrale Ursache ist eine Störung im Immunsystem, die zum Verlust der Toleranz gegenüber körpereigenen Gewebestrukturen führt. Weltweit sind derzeit circa fünf bis acht Prozent der Bevölkerung von ungefähr 80 bis 100 verschiedenen Autoimmunerkrankungen betroffen.

Mögliche Wege des Schutzes sind aus Sicht von DBS-Ärztin Hirschmüller maximale Hygiene, etwa das Tragen eines Mundschutzes auch beim Training, bis hin zu weiteren Distanzierungsmaßnahmen. Die Risikogruppen müssten "solange individuell trainiert werden wie möglich", sagt Hirschmüller. "Und man lässt sie dann erst so spät wie möglich in Zweikampf-Situationen zurückkehren."

Ständiger Austausch unter den Ärzten

Doch viel interessanter als die Frage, in welcher Form die Paralympics stattfinden können, ist für Hirschmüller die Diskussion darüber, in welcher Form die Qualifikations-Konkurrenzen noch in diesem Jahr ausgetragen werden. "Es müssen noch viele Wettkämpfe stattfinden um festzustellen, wer überhaupt bei den Paralympics teilnehmen kann. Da sind die Kommunikation und die medizinische Ausstattung traditionell viel schlechter als bei den Paralympics selber", so Hirschmüller. Sie sei mit vielen Ärzten in Kontakt, um die jeweilige Lage zu besprechen und abzustimmen.

Brian Bell (M.) spielt auch in Tokio 2021 für die US-Para-Basketballer
Brian Bell (M.) spielt auch in Tokio 2021 für die US-Para-Basketballer Bild: picture-alliance/dpa/V. Astapkovich

Doch nicht nur in Deutschland müssen sich Para-Athleten auf die besondere Situation durch die Corona-Pandemie einstellen. Der Amerikaner Brian Bell, wie Breuer Rollstuhl-Basketballspieler beim RSV Lahn-Dill, ist Mitglied der US-Para-Nationalmannschaft. Er bleibt zunächst in Deutschland, um die Corona-Krise vor Ort zu überstehen. Eigentlich sollte er längst in den USA sein, um sich dort den letzten Schliff vor den Paralympischen Spielen zu holen. Doch die USA sind das zahlenmäßig am stärksten betroffene Land in der Corona-Krise mit deutlich über 500.000 infizierten Menschen.

US-amerikanische Para-Basketballer voller Elan

Bell hält den Kontakt zu seinen Mitspielern in den USA. "Es ist schon eine komische Situation. Aber allen im Team geht es gut. Alle versuchen, nicht krank zu werden. Es gab einen Team-Rundruf. In der Mannschaft sind eigentlich alle nicht besonders ängstlich, weil es ja vor allem die betrifft, die körperlich nicht so fit sind", sagt Bell der DW. "Glücklicherweise ist niemand aus meinem Team von einer Autoimmunkrankheit betroffen." 

Momentan hoffen der Para-Olympiasieger und seine Mitspieler darauf, dass sie bald wieder gemeinsam trainieren können. "Alle wollen auf diesem hohen Niveau spielen. Wir halten jetzt alle zwei Wochen ein Meeting ab, um zu schauen, ob alle fit sind", sagt der 30-Jährige.

Reicht die Zeit aus?

Wie die Olympischen Spiele sind auch die Paralympics wegen der Corona-Pandemie auf 2021 verschoben worden. "Aber reicht das?", fragt DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher mit Blick auf die besondere Gefährdung vieler Para-Sportler. "Sind dann die anderen Länder bereits über den Höhepunkt der Pandemie hinaus? Sind wir dann weltweit Virus-frei? Das ist eine Frage, die mich mit Sorge umtreibt." Eines müsse unverhandelbar über allem stehen, so Beucher: die Gesundheit der Sportler.

DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher fordert Sicherheit für die Sportler
DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher fordert Sicherheit für die SportlerBild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Für Rollstuhl-Basketballerin Annabel Breuer geht es jetzt aber erst einmal darum, positiv in die Zukunft zu blicken und zur Normalität zurückzufinden: "Selbst wenn das Spielen oder das Training irgendwann unter Bedingungen wieder erlaubt sind, ist man ja eigentlich nie richtig sicher. Deshalb wünsche ich mir, wieder ohne jede Einschränkung trainieren zu können." Höchstwahrscheinlich wird sie auf diesen Zustand noch etwas länger warten müssen.