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PolitikPolen

Polnischer Richter flieht nach Belarus und macht Propaganda

10. Mai 2024

Erst glühender Verfechter der PiS-Justizreform, dann Star in belarussischen und russischen Medien - ein polnischer Richter flüchtet nach Minsk und macht Propaganda für Lukaschenko. Ist er Agent oder nützlicher Idiot?

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Ein Mann hinter Mikrofonen (Tomasz Szmydt) zeigt ein Dokument
Der nach Belarus geflüchtete polnische Richter Tomasz Szmydt am 6.05.2024 bei einer Pressekonferenz mit der staatlichen belarussischen Nachrichtenagentur BelTABild: Maxim Guchek/BelTA/Handout/REUTERS

In den vergangenen Jahren flüchteten tausende Menschen aus Belarus vor politischer Verfolgung durch das moskautreue Regime des Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko nach Polen. Der polnische Richter Tomasz Szmydt wählte die umgekehrte Richtung. Die Überraschung in Polen war perfekt, als er am Montag auf einer Pressekonferenz der staatlichen belarussischen Nachrichtenagentur BelTA mitteilte, dass er den belarussischen Machthaber Lukaschenko persönlich um "Obhut und Schutz" ersucht habe.

Er habe auf das Richteramt aus Protest gegen die ungerechte polnische Politik gegenüber Belarus und Russland verzichtet, sagte Szmydt zur Begründung und beschuldigte die polnische Regierung, dass sie "das Land unter dem Einfluss der USA und Großbritanniens in den Krieg führt". Wegen seiner Gesinnung sei er verfolgt und eingeschüchtert worden. Als einziger Ausweg sei ihm die Flucht geblieben.

Besonders die belarussischen Emigranten in Polen dürften einige Worte Szmydts als Hohn empfinden: Belarus sei ein "offenes und freundliches Land" - mit dieser Botschaft zog der Richter in dieser Woche durch etliche belarussische und russische Medien, darunter Russia Today und die TV-Sendung des Putin-Chefpropagandisten Wladimir Solowjow, gegen den die EU Sanktionen verhängt hat.

Porträt eines Mannes (Alexander Lukaschenko)
Der belarussische Staatspräsident und Diktator Alexander LukaschenkoBild: Sergei Shelega/POOL BelTA/AP/dpa/picture-alliance

Die polnische Staatsanwaltschaft warf Szmydt eine Beteiligung am Informationskrieg gegen Polen vor. Er soll demnächst zur Fahndung ausgeschrieben werden, berichtete am Freitag (10.05.2024) die Tageszeitung Rzeczpospolita. Ermittelt wird unter anderem wegen Spionageverdachts. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski bezeichnete Szmydt als "Verräter".

Schnelle Karriere unter PiS-Regierung

Tomasz Szmydt ist in Polen kein Unbekannter. Seit 2011 war er Richter am Warschauer Bezirksverwaltungsgericht, wo er sich unter anderem mit brisanten Sicherheitsfragen beschäftigte. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen Berufungsverfahren von Beamten, denen der Zugang zu geheimen Informationen verweigert wurde. Er war auch als Chef der Rechtsabteilung des Landesjustizrates tätig - eines von der national-konservativen Regierung unter der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gesteuerten Gremiums, das die Richter kontrollieren und disziplinieren sollte.

Ein Mann hinter Mikrofonen (Tomasz Szmydt) zeigt einen Ausweis
Der Richter Tomasz Szmydt am 6.05.2024 bei einer Pressekonferenz mit der staatlichen belarussischen Nachrichtenagentur BelTABild: Maxim Guchek/BelTA/Handout/REUTERS

Szmydts Name geriet 2019 in die Schlagzeilen. Damals machten die unabhängigen Medien im Justizministerium eine Richtergruppe um den damaligen Vize-Justizminister Lukasz Piebiak ausfindig, die in den sozialen Medien eine Hetzkampagne gegen jene Richter führten, die sich der Politisierung des Justizwesens widersetzten. Eine führende Rolle spielte Szmydts damalige Ehefrau Emilia. Er und seine Mitstreiter aus dem Justizministerium versorgten sie mit vertraulichen Informationen über oppositionelle Richter. Emilia Szmydt nutzte den Stoff für ihre Hassposts. Später äußerte sie in einem Interview mit dem Fernsehsender TVN Reue darüber. Im April 2022 gab auch Tomasz Szmydt seine Beteiligung an dem Fall zu und entschuldigte sich bei den Opfern.

Richterflucht heizt Konflikt Tusk-Kaczynski an

Die Flucht des Richters hat den politischen Konflikt zwischen der Mitte-Links-Regierung und dem national-konservativen Lager zusätzlich angeheizt. Einen Monat vor der Europa-Wahl, bei der sich die beiden politischen Blöcke ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, schieben sich der Premier Donald Tusk und der Oppositionsführer und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski gegenseitig die Verantwortung für den Skandal in die Schuhe.

Der liberale Regierungschef Donald Tusk sagte am Donnerstag (09.05.2024) im Parlament, der Geheimdienst unter der PiS-Regierung sei "blind und taub" gewesen, weil er sich vor allem mit der Ausspionierung der Opposition befasst habe. Szmydt sei von der Kaczynski-Partei "bestimmt worden", um die unabhängige Justiz zu demontieren. Er unterstellte einem Teil der PiS-Abgeordneten, russische Interessen zu vertreten. Die Vereinigte Rechte seien "bezahlte Verräter, Knechte Russlands", rief Tusk in den Saal.

Mann mit erhobenem Zeigefinger (Donald Tusk)
Polens Premier Donald TuskBild: Lukasz Gagulski/EPA

"Tusk verdreht alles", erwiderte Kaczynski. Es gebe zahlreiche Beweise dafür, dass in Polen "die russische Agenda umgesetzt" werde, sagte der PiS-Chef vor Journalisten. Unter Tusks Regierung werde Polen zu einem "deutsch-russischen Kondominium".

Großer Schaden für Polens Sicherheit

Für die PiS ist der flüchtige Richter zu einer heißen Kartoffel geworden. Niemand will mit ihm etwas zu tun gehabt haben, niemand soll ihn gekannt haben. Seine Flucht soll ein Beweis für die Niederlage des neuen Geheimdienstes sein, für den seit einem halben Jahr Tusk die Verantwortung hat. Erst langsam kommen brisante Details ans Tageslicht - so etwa soll Szmydt bereits vor einem Jahr zu Besuch in Belarus gewesen sein.

Mann an einem Pult mit Mikrofonen (Jaroslaw Kaczynski)
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw KaczynskiBild: Marek Antoni Iwanczuk/SOPA Images/Sipa USA/picture alliance

Der ehemalige Chef der polnischen Gegenspionage, Oberst Grzegorz Malecki, sagte der Polnischen Nachrichtenagentur PAP am Donnerstag, die Schäden für die Sicherheit Polens seien "nicht wiedergutzumachen". Es sei durchaus möglich, so Malecki, dass Szmydt seit längerer Zeit mit fremden Nachrichtendiensten zusammengearbeitet habe. Die Kammer, in der er tätig war, befasste sich auch mit den Beschwerden von Polizeibeamten gegen ihre Vorgesetzten. "Solche Personen sind als potenzielle Objekte der Anwerbung anzusehen", so der Oberst.

Geheimnisse mitgebracht?

Auf die Frage, ob er geheime Dokumente aus Polen mitgebracht habe, antwortete Szmydt im belarussischen Fernsehkanal ONT ausweichend. "Das wird sich später zeigen", so der Richter. Die ONT-Redaktion in Minsk ist dagegen überzeugt, dass der Überläufer helfen wird, "Geheimnisse der polnischen Regierung zu enthüllen".

Mit der Aufklärung des Spionagefalls wird sich in Polen jetzt ein neuer Innenminister befassen - der bisherige Koordinator der Geheimdienste Tomasz Siemoniak. Sein Vorgänger Marcin Kierwinski ist zurückgetreten, weil er sich um ein Mandat im Europa-Parlament bewirbt.

Zwei Männer in Anzügen lachen und geben sich die Hand (Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin)
Der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko und sein Amtskollege Wladimir Putin, hier im Juli 2023 in St. PetersburgBild: Alexander Demianchuk/TASS/dpa/picture alliance

Angesichts der Dimension, die der Fall annimmt, warnte der Publizist Michal Szuldrzynski in der Zeitung Rzeczpospolita vor der Verschärfung der politischen Auseinandersetzung. "Wir sollten alle Spione fangen, aber machen wir Putin kein Geschenk, indem wir uns noch mehr in die Haare geraten, statt die Abwehrfähigkeit unserer Dienste zu stärken", schrieb der Publizist am Freitag.

Unterdessen äußerte sich laut der staatlichen belarussischen Nachrichtenagentur BelTA nun auch Alexander Lukaschenko selbst zu dem Fall. Der Diktator sagte, die Flucht des Richters sei "ein Schlag gegen die polnischen Behörden". Er habe die Polizei gebeten, alles zu tun, damit "diese Schurken aus Polen diesen Mann nicht töten". Und, so sagte Lukaschenko weiter - er habe den Fall bereits mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin besprochen.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.