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GesellschaftDeutschland

"Kein Interesse an Roma"

Gabriella Valaczkay
27. Juni 2021

Die meisten Menschen in Deutschland haben keine persönlichen Kontakte zu Sinti oder Roma. Trotzdem gibt es Antiziganismus. Mitarbeiter des Berliner Vereins Amaro Foro wollen Medien dafür sensibilisieren.

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Antiziganismus Demonstration Banner Plakat Kundgebung Berlin
Antiziganismus-Demonstration in Berlin 2013Bild: picture-alliance/dpa

"Sinti und Roma ist ein Überbegriff für Menschen, die sich durch Nationalität, Sprache, Religion, Sesshaftigkeit und viele andere Eigenschaften von anderen unterscheiden." Problematische Sätze wie dieser, die eine Andersartigkeit von Sinti und Roma im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft in den Vordergrund stellen, fanden sich auch 2018 noch in einer großen deutschen Tageszeitung. Gegen solche Stereotype engagiert sichAmaro Foro, ein transkultureller Jugendverband in Berlin. Seit 2012 beobachtet er Berliner Zeitungen und betreibt eine aktive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um Stereotypen entgegenzutreten und Medien für Antiziganismus zu sensibilisieren.

Antiziganismus und Diskriminierung

"Antiziganismus ist eine spezifische Form von Rassismus gegen Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund", schreibt Amaro Foro auf ihrer Homepage. Solche Klischees wirken sich oft verheerend auf das Leben von Menschen aus, die Roma sind oder dafür gehalten werden. Seit 2014 erfasst Amaro Foro in seiner "Dokumentationsstelle Antiziganismus - DOSTA" antiziganistische und diskriminierende Vorfälle. Neben medialer Berichterstattung werden dort acht weitere Lebensbereiche aufgeführt, zum Beispiel Zugang zu medizinischer Versorgung oder Alltag. Alleine bis 2018 verzeichnete DOSTA 699 Vorfälle von Antiziganismus und Diskriminierung - und darin war die mediale Berichterstattung nicht einmal enthalten.

Infografik Antiziganismus Deutschland 2018 DE
Studie der Universität Leipzig 2018

"Noch viel Aufklärungsarbeit in Medien nötig"

"Bei unserer Arbeit in der Dokumentationsstelle mussten wir feststellen, dass noch sehr viel Aufklärungsarbeit in den deutschen Medien nötig ist", erklärt Amaro Foro-Mitarbeiterin Andrea Wierich. "Vor allem bei Medien der bürgerlichen Mitte ist das Interesse an unseren Veranstaltungen gering. Es gibt wenig Bereitschaft, endlich ein anderes Bild von Roma zu präsentieren. Wir haben erkannt, dass wir daran im Rahmen unserer bestehenden Projekte nicht genug ändern können. Wir haben deshalb ein fünfjähriges Modellprojekt zur Sensibilisierung von Medienschaffenden für Antiziganismus gestartet, um es Journalist*innen und Fotograf*innen so leicht wie möglich zu machen, sich kostenlos und vor Ort fortbilden zu lassen."

 Projektleiterin Andrea Wierich bei einem Workshop für Medienschaffende, 2016
Projektleiterin Andrea Wierich bei einem WorkshopBild: Amaro Foro

Herzstück des seit 2020 laufenden Projekts ist ein Fortbildungsangebot für Text- und Bildjournalisten. Bei diesen praxisnahen Workshops wird zum Beispiel erklärt, wo Fallstricke lauern und welche Formulierungen oder Überschriften diskriminierend sein können. Das gilt auch für Bildunterschriften, so zum Beispiel eine Bildunterschrift vom Juni 2020 in einem deutschen Printmedium. Nachdem der Berliner Bezirk Neukölln sieben Häuser komplett unter Quarantäne gestellt hatte, war unter einem Bild zu lesen: "In einem Neuköllner Wohnblock sind viele Menschen an dem Coronavirus erkrankt. Dort leben überwiegend Roma-Familien."

Es sei ein typisch antiziganistisches Klischee, dass Gesundheitsthemen in Zusammenhang mit Roma gebracht werden, reagierte Georgi Ivanov, Vorstandsmitglied von Amaro Foro, auf den Vorfall.

Migrationsdebatten als Auslöser

Auslöser des Modellprojekts waren für die Mitarbeitenden des Vereins vor allem die Mediendebatten rund um die Migration innerhalb der EU, die von vielen Medien als Armutseinwanderung bezeichnet wird. Damit verbunden wurden dann andere Themen, zum Beispiel sogenannte Problemimmobilien, Obdachlosigkeit, Sozialleistungsbetrug oder berufliches Betteln - also uralte Stereotype, wonach Roma arm und kriminell seien.

"Roma ist übrigens eine Selbstbezeichnung, was für viele Journalist*innen nicht klar zu sein scheint. In dem Moment, wenn Menschen einem bestimmten Bild entsprechen, werden sie von Medienschaffenden als Roma gelabelt. Zum Beispiel, wenn sie irgendwo in einem Park ein Zeltlager entdecken, dann sind es auf einmal Roma. Und eines der größten Probleme ist, dass sie fast ausschließlich bei solchen Themen in den Medien sichtbar sind", erklärt Andrea Wierich. 

Amaro Foro-Mitarbeiterin Zsófia Bihari
Amaro Foro-Mitarbeiterin Zsófia BihariBild: Amaro Foro

"Gerade aus diesem Grund schließen unsere Fortbildungen eine Lücke", ergänzt Zsófia Bihari, die das Sensibilisierungsprojekt für Medienschaffende seit dem Frühjahr 2021 begleitet. "Ich habe jahrelang bei einer Roma-Organisation gearbeitet und musste feststellen, dass es fast unmöglich ist, das Interesse von Pressevertreter*innen zu wecken."

Sinti und Roma sichtbar machen

Genau das will das Modellprojekt jetzt ändern. Ziel ist es, positive Geschichten im Zusammenhang mit Sinti und Roma in den deutschsprachigen Medien sichtbar zu machen und für mehr Selbstrepräsentation von Roma-Journalisten zu sorgen. Die Erkenntnisse des Projekts werden abschließend in einem Handbuch zusammengefasst.

"Nicht nur Textjournalist*innen brauchen einen Perspektivenwechsel, deswegen bieten wir regelmäßig auch Bildworkshops an, bei denen es vor allem um die visuelle Repräsentation von Sinti*zze und Rom*nja geht", sagt Wierich. Diese Fortbildungen basieren auf wissenschaftlichen Forschungen über antiziganistische Stereotype in Bilddarstellungen. Sie richten sich an Bildredaktionen, Fotografen und Agenturen. Am Ende des Projekts soll daraus eine Fotosammlung entstehen, in der Roma und Sinti in selbstbestimmten, nicht-stereotypen Situationen zu sehen sind. Diese Bilder sollen Medienschaffenden kostenlos zur Verfügung gestellt werden.