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PolitikBrasilien

Bolsonaro Rechtspopulist oder Rechtsextremist?

Oliver Pieper | Jean-Philip Struck
29. Dezember 2022

Am 1. Januar 2023 wird Lula da Silva als Präsident Brasiliens vereidigt, Jair Bolsonaro ist damit vorerst Geschichte. Vier Jahre regierte er Brasilien, Zeit für ein Fazit: Wie weit rechts steht Bolsonaro wirklich?

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Jair Bolsonaro, Präsident & Edir Macado & Silvio Santos
Jair Bolsonaro bei der Parade zum brasilianischen Unabhängigkeitstag am 7.9.2019 in BrasiliaBild: Evaristo Sa/AFP/Getty Images

Wie weit rechts ist es, wenn ein brasilianischer Präsident den Jahrestag des Militärputsches und Diktaturbeginns, den 31. März 1964, offiziell feiert und seine Anhänger an der Copacabana in Rio de Janeiro dies ihm gleichtun? Wenn ein brasilianischer Präsident Demonstranten mit einer umjubelten Rede unterstützt, die vor zwei Jahren eine Militärintervention und die Schließung des Obersten Gerichtes forderten? Und wenn ein brasilianischer Präsident im Duktus eines Sklavenhalters gegen ethnische Minderheiten wie Indigene und Afrobrasilianer hetzt und gegen Frauenrechte und Homosexuelle anschreit?

Wenn jemand darauf Antworten haben könnte, dann ist das David Magalhães. Der Professor für Internationale Beziehungen an der Päpstlichen Katholischen Universität von Sao Paulo hat Anfang 2020 das "Observatório da Extrema Direita", kurz OED, gegründet, und nimmt seitdem rechtsradikale Strömungen in Brasilien und weltweit genau unter die Lupe.

Er will zwischen dem Präsidenten und seiner Regierung unterscheiden: "Dort gibt es eine Reihe von institutionellen Zwängen, die Bolsonaros Handlungsfähigkeit einschränken, und daher stufe ich seine Regierung als rechtsradikal, nicht als rechtsextrem ein, in der ideologischen Familie der populistischen radikalen Rechten. Bolsonaro dagegen können wir als rechtsextremen Führer einstufen, da er die Spielregeln der Demokratie nicht akzeptiert."

Krude Mischung in Bolsonaros Bewegung

Und dann ist da ja auch noch Bolsonaros Bewegung. Laut Magalhães ist sie aber kein homogener Block. Vielmehr tummeln sich in ihr gewalttätige rechtsextreme Gruppen, aber auch Teile einer marktliberalen Rechten, religiöse Konservative und nationalistische Militärs. Der Extremismus-Forscher plädiert dafür, diese Bewegung, die Regierung und den Anführer Bolsonaro jeweils für sich zu betrachten.

Proteste nach Wahl in Brasilien

Das Ergebnis ihres Zusammenspiels in den letzten vier Jahren in Brasilien: "Wenn die radikale Rechte an der Macht ist, neigt sie dazu, die liberale Demokratie in homöopathischen Dosen zu untergraben, wie es auch in Ungarn unter der Regierung Orbán geschehen ist."

Laut der Definition des deutschen Verfassungsschutzes beschreibt der Begriff rechtsradikal eine Strömung, die nicht zwangsläufig gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen müsse. Wenn rechtsgerichtete Demokratiefeinde die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen und auch unter Anwendung von Gewalt ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten wollen, seien sie indes als rechtsextrem einzustufen.

"Zu 100 Prozent das Repertoire eines Extremisten"

"Das Besondere an Bolsonaro ist, dass er wie kein anderer das Repertoire der Extremisten zu 100 Prozent vereint. Wenn man ihn mit anderen prominenten Politikern der Rechten vergleicht, zeigen sie nicht in allen ihren Einstellungen die gleiche Radikalität, sie sind zum Beispiel nicht unbedingt immer frauenfeindlich oder homophob. Bolsonaro hat alles, er ist die Karikatur des Rechtsextremisten", sagt Georg Wink, Professor für Brasilienstudien an der Universität Kopenhagen.

Federico Finchelstein, Autor des Buches "Eine kurze Geschichte der faschistischen Lügen", pflichtet dieser Einschätzung bei: "Bolsonaro ist ein populistischer, rechtsextremer Politiker, der sich oft nicht wie ein Populist, sondern wie ein Faschist verhält. Bolsonaro hat diese Mischung. Populismus kommt in formalen Demokratien vor, und er wurde in einer Demokratie gewählt. Aber er ist ein Führer, der manchmal so aussieht, als würde er die Demokratie von innen heraus zerstören und eine faschistische Diktatur errichten wollen."

Brasilien Ignacio Lula da Silva, neuer Präsident
Ignacio Lula da Silva war bereits von 2003 bis 2011 Präsident und wird am 1. Januar 2023 erneut vereidigtBild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Dabei hatten einige Sektoren zu Bolsonaros Amtsantritt am 1. Januar 2019 noch gehofft, dass sich der neue Präsident an der Macht "normalisieren" und eine konventionellere Haltung einnehmen würde. Doch Bolsonaro verfolgte weiterhin dieselbe radikale Haltung, stellte sich offen gegen die Justiz und den Kongress, förderte Polizeigewalt und Massenbewegungen, um Gegner einzuschüchtern, und schürte mit einer Klage Zweifel am Ergebnis der verlorenen Präsidentenwahl.

Rechtes Vorbild in Lateinamerika

"Gott, Heimat und Familie" war einer der meistgenutzten Slogans Bolsonaros in den vier Jahren seiner Amtszeit. Eine Wiederverwendung eines alten Leitspruchs, der sowohl von der portugiesischen Salazar-Diktatur (1933-1974) als auch von der Integralistischen Aktion Brasiliens (AIB), der wichtigsten faschistischen Gruppe in den 1930er Jahren, verwendet wurde.

Bolsonaro suchte in seiner Amtszeit die Nähe von rechtspopulistischen Politikern wie Donald Trump, Italiens Matteo Salvini und Ungarns Viktor Orbán. In Deutschland wurde er von AfD-Politikern gelobt. Einer seiner Söhne, der Abgeordnete Eduardo Bolsonaro, unterhält enge Beziehungen zum US-amerikanischen politischen Agitator Steve Bannon. Und Bolsonaro wurde zum rechten Vorbild in der Region, von Keiko Fujimori in Peru, Rodolfo Hernández in Kolumbien oder auch José Antonio Kast in Chile.

Trump und Bolsonaro geben sich die Hände
Ziemlich beste Freunde: Donald Trump und Jair Bolsonaro, 07.03.2020 Bild: Allen Eyestone/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Die Präsidentschaftswahl mag Bolsonaro und die extreme Rechte knapp gegen Lula verloren haben, aber politisch seien sie noch lange nicht besiegt, sagt David Magalhães: "Bolsonaro ist es gelungen, mehrere Teile der brasilianischen Rechten zu bündeln und eine Bewegung zu organisieren, die Gefallen an Straßendemonstrationen gefunden hat und in den sozialen Netzwerken äußerst aktiv ist. Darüber hinaus legitimierte er extremistische und gewalttätige Gruppen. Diese Rechte wird weiter auf die Straße gehen, Lärm machen, demonstrieren und die Linke, die ab 2023 an der Macht sein wird, einschüchtern."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur