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KonflikteIsrael

EU: Hamas hat keine Hilfsgelder abgezweigt

21. November 2023

Nach einer Prüfung ist die EU-Kommission sicher: Ihre Hilfsgelder für die palästinensischen Gebiete sind in diesem Jahr nicht an Terroristen geflossen. Die Entwicklungshilfe kann weitergehen. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Ein Tanklaster der UNRWA steht am ägyptischen Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen
Ein Tanklaster der UNRWA auf dem Weg nach Gaza: Finanziert von den USA, Deutschland und der EUBild: Gehad Hamdy/dpa/picture alliance

Unmittelbar nach dem Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel am 7. Oktober hatte die Europäische Union eine Überprüfung ihrer Entwicklungshilfeprojekte für die palästinensischen Gebiete angekündigt, also das Westjordanland und den Gazastreifen. Das Ergebnis dieser Prüfung liegt jetzt vor. Das Fazit der EU-Kommission nach ihrer Sitzung in Straßburg: Die Hilfe kann wie geplant weitergehen, weil es keine Anzeichen gibt, dass in der Vergangenheit Hilfsgelder für die Hamas abgezweigt wurden, die von der EU, den USA und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft wird.

EU-Kommissar Oliver Varhelyi, der für Nachbarschaftspolitik zuständig ist, erklärte, die Prüfung der Zahlungen in diesem Jahr habe keine Verstöße ergeben. Deshalb könne die Zusammenarbeit mit den Agenturen und Behörden in den Palästinensergebieten fortgesetzt werden. Die Entwicklungshilfe für dieses Haushaltjahr sei bereits geflossen. Es stünden im Moment keine Zahlungen an, hieß es von EU-Beamten. Varhelyi hatte nach dem Überfall der Hamas auf Israel Zahlungen zunächst pauschal stoppen wollen. Das hatte EU-Außenkommissar Josep Borrell verärgert. Man verständigte sich auf die jetzt abgeschlossene Überprüfung.

Oliver Varhelyi sitzt an einem Konferenztisch vor einer gelben Wand und Fenstern
Keine Beweise für umgelenkte Gelder: EU-Kommissar Oliver Varhelyi (Archiv)Bild: Büro des Premierministers des Kosovo

119 in diesem Jahr geltende Verträge im Wert von 330 Millionen Euro wurden seither überprüft. Bei 51 Verträgen im Wert von 39 Millionen gibt es noch offene Fragen, die die Nichtregierungsorganisationen beantworten müssten, die das Geld für Entwicklungsprojekte erhalten haben. Sieben Verträge, die Infrastrukturmaßnahmen im Gazastreifen betrafen, mussten wegen der jetzigen Kämpfe dort ausgesetzt werden, teilte die EU-Kommission mit. Für die Jahre 2020 bis 2024 hatte die EU insgesamt 1,2 Milliarden Euro für Entwicklungshilfe in Palästinensergebieten vorgesehen.

Berlin will auch weiter zahlen

Die Bundesregierung hatte ebenfalls eine Prüfung ihrer Entwicklungshilfe für die Palästinenser angekündigt. Der Staatssekretär im zuständigen Ministerium, Jochen Flasbarth, sagte in Brüssel am Rande einer Sitzung der EU-Entwicklungshilfeminister, man habe bislang Projekte in Gaza und Jordanien abgeklopft. Insbesondere werde die Zusammenarbeit mit UNRWA, dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, fortgesetzt. "Für die übrigen Gebiete dauert die Überprüfung noch an, soll aber bald abgeschlossen werden." Mit den übrigen Gebieten ist das israelisch besetzte Westjordanland gemeint, wo die Palästinenserbehörde und nicht die radikale Hamas regiert.

Staatssekretär Flasbarth sagte, er sei immer davon überzeugt gewesen, dass in der Vergangenheit die Zusammenarbeit mit einer Terrororganisation ausgeschlossen war. Es sei aber richtig, angesichts der dramatischen Situation noch einmal alles auf den Prüfstand zu stellen. "Wir haben nichts gefunden und hören von anderen Staaten, die einen ähnlichen Weg gewählt haben, dass sie auch geprüft haben und alles für korrekt befunden haben."

Schärfere Prüfung von Empfängern

EU-Kommissar Oliver Varhelyi will die weitere Auszahlung von Entwicklungsgeldern der EU künftig an zusätzliche Bedingungen knüpfen. Hilfsorganisationen sollen darauf überprüft werden, ob sie sich "aufwieglerisch" oder antisemitisch äußern. Auch die Äußerungen von Familien sollen auf Hassreden hin gescheckt werden, bevor zum Beispiel Sozialhilfe aus EU-Töpfen gezahlt werden kann. Bislang betraf diese Regel nur das Oberhaupt der bedürftigen Familien.

Die Verschärfung der Regeln sei übertrieben und nicht gerechtfertigt, kritisierten einige EU-Kommissare während der Sitzung des Gremiums in Straßburg. Ein EU-Beamter verteidigte die Pläne dagegen als "angemessene Prüfungen, die wir einführen, um ein ohnehin schon robustes System noch stärker zu machen". Die EU zahlt unter anderem Gehälter für Beamte der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland sowie indirekt über Hilfsorganisationen Sozialhilfe an Familien in Gaza. Ein direkter Kontakt mit der terroristischen Hamas ist der EU seit 2007 untersagt.

Die palästinensische Hilfsorganisation  "Al-Haq", mit der das deutsche Entwicklungshilfeministerium und die evangelische Organisation "Brot für die Welt" zusammengearbeitet haben, soll künftig kein Geld mehr aus Deutschland bekommen. "Al-Haq", die das Recht auf bewaffneten Kampf gegen Israel betone, sei kein geeigneter Partner mehr, teilte eine Sprecherin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) bereits vergangene Woche der Zeitung "Die Welt" mit. An diesem Mittwoch präzisierte das Ministerium, dass ein Auslaufen der Zusammenarbeit mit "Al-Haq" bereits vor dem 7. Oktober beschlossen worden war. Ob weitere Nichtregierungsorganisationen in den palästinensischen Gebieten von einer Zusammenarbeit ausgeschlossen werden sollen oder nicht, lasse sich im Moment noch nicht sagen, weil die Überprüfungen noch andauerten, teilte eine Sprecherin des BMZ mit.

 

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Bauarbeiter flechten den Stahl für den Stahlbeton
EU finanzierte Schulbauten wie hier in Gaza vor dem jüngsten Krieg: Hilfe soll weitergehenBild: picture-alliance/AP Photo/K. Hamra

Humanitäre Hilfe wird verstärkt

Getrennt von Entwicklungsprojekten muss die unmittelbare humanitäre Hilfe für Palästinenser betrachtet werden, also Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung. Sie wurde von der EU nicht in Frage gestellt, sondern ausgeweitet. Nach dem Beginn der Offensive Israels gegen die Hamas-Stellungen im Gazastreifen hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Vervierfachung der ursprünglich geplanten Mittel auf 100 Millionen Euro angekündigt. Von der Leyen besuchte vergangene Woche den Flughafen Al-Arisch in Ägypten, auf dem bislang 15 Flugzeuge aus EU-Staaten mit 600 Tonnen Hilfsgütern an Bord gelandet sind. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben weitere 260 Millionen Euro für dringende humanitäre Versorgung bereitgestellt. 160 Millionen davon kämen aus Deutschland, kündigte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock an.

Kinder halten an einer eine Essensausgabe bei Rafah im südlichen Gazastreifen ihre mitgebrachten Gefäße hoch
Hungrige Kinder in Gaza: Humanitäre Notversorgung soll verstärkt werdenBild: Hatem Ali/AP Photo/picture alliance

Die Unterstützung des seit Jahrzehnten arbeitenden UN-Flüchtlingshilfswerks speziell für Palästinenser (UNRWA) soll ebenfalls weitergehen. Die UNRWA versorgt Bedürftige in den Palästinensergebieten, Jordanien, Libanon und Syrien. Bereits vor dem derzeitigen Krieg zwischen der israelischen Armee und der Hamas waren zwei Drittel der Menschen in Gaza auf Hilfslieferungen der UNRWA angewiesen, die rund 13.000 Beschäftigte in Gaza hatte. Die größten Geldgeber der UNRWA waren 2022 die USA mit 343 Millionen US-Dollar, Deutschland mit 202 Millionen und die Europäische Union mit 114 Millionen. Das Budget der UNRWA betrug insgesamt im vergangenen Jahr 1,17 Milliarden US-Dollar.

Ungelöster Streit um Waffenstillstand, -ruhe oder -pause

Die Meinungsunterschiede in der EU zu der Frage, wie die humanitäre Lage im Gazastreifen verbessert werden kann, bestehen weiter. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte in einem DW-Interview zu Forderungen nach einem Waffenstillstand, Israel könne nicht darauf verzichten, seine Bevölkerung vor Raketenbeschuss durch die Hamas zu bewahren. "Hamas macht jeden Tag deutlich, sie wollen Israel von der Landkarte tilgen. Das heißt, sie wollen Israel auslöschen und in so einer Situation muss Israel seine Bevölkerung schützen."

Baerbock für "internationale Verantwortung" in Gaza (Video)

Die belgische Ministerin für Entwicklungshilfe Caroline Gennez setzte sich dagegen in Brüssel für eine Waffenruhe und ein Ende von Kampfhandlungen ein. Ähnlich Forderungen kommen auch aus Frankreich. Kurze Kampfpausen, wie von der EU bei ihrem jüngsten Gipfeltreffen im Oktober vorgeschlagen, reichten nicht aus. "Ich denke, es ist ganz klar, dass die Gewalt jetzt enden muss. Es gab so viele unschuldige Opfer in Gaza und zu viele israelische Geiseln, die noch festgehalten werden. Es ist wichtig, dass die Gewalt endet und humanitäre Hilfe sichergestellt werden kann. Eines Tages sollten Verhandlungen über eine tragfähige und dauerhafte Zweistaatenlösung starten."

(In einer früheren Version dieses Beitrags fehlte der Hinweis, dass die Zusammenarbeit mit Al-Haq bereits vor dem 7. Oktober beschlossen worden war.)

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union