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GesellschaftSerbien

Zum Tod des Holocaust-Überlebenden Ivan Ivanji

10. Mai 2024

Der 95-jährige Schriftsteller und ehemalige KZ-Häftling Ivan Ivanji ist überraschend in Weimar gestorben. Er lebte in Belgrad und kam wegen der Eröffnung des Museums zur Zwangsarbeit im Nationalsozialismus dorthin.

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Der Schriftsteller Ivan Ivanji sitzt in einem Sessel und liest in einem Buch
Der Schriftsteller Ivan Ivanji, gestorben am 09.05.2024 in WeimarBild: DW

Er habe "Buchenwald lebenslänglich" erhalten, sagte der Holocaust-Überlebende und Autor Ivan Ivanji vor fünf Jahren in einer DW-Dokumentation. Damit spielte er leicht ironisch auf seine häufige Präsenz in Weimar an. In der Stadt von Goethe und Schiller nahm er immer wieder an diversen Erinnerungsveranstaltungen der nahegelegenen Holocaust-Gedenkstätte in dem ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald teil. Er selbst hatte dieses Lager überlebt. Über seine Erlebnisse im Lager und später in Jugoslawien schrieb er zahlreiche Bücher wie "Der Aschenmensch von Buchenwald", "Mein schönes Leben in der Hölle", "Stalins Säbel" und "Der alte Jude und das Meer".

Ein Besucher sitzt im Museum fürs Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in Weimar und härt über einen Ohrhörer ein Tondokument. Im Hintergrund sind weitere Besucher zu sehen, die vor Schaukästen stehen
Das Museum für Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in WeimarBild: Christoph Musiol/gewerkdesign

Seine diesjährige Reise aus Belgrad nach Weimar zur Eröffnung des Museums für Zwangsarbeit war seine letzte Reise. Er starb am Donnerstag, den 09.05.2024, in der Stadt der deutschen Klassik, die ihn 2020 zum Ehrenbürger gemacht hatte.

Geboren im Königreich Jugoslawien

Ivan Ivanji wurde am 29. Januar 1929 in Großbetschkerek (heute Zrenjanin) im Königreich Jugoslawien geboren. Er wuchs gleichermaßen mit der deutschen, ungarischen und serbokroatischen Sprache in einer säkularisierten jüdischen Ärztefamilie auf.

Ivan Ivanji empfielt das Museum

Deutsch lernte er von einer österreichischen Hauslehrerin und sprach es sein Leben lang mit einer erkennbaren österreichischen Melodie. Sein Vater ließ ihn von einem Priester der ungarischen Reformierten Kirche taufen, damit er in der von der Nazi-Ideologie geprägten Zeit größere Überlebenschancen hatte. Nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawien 1941 konnte Ivan Ivanji deshalb bei Verwandten in Novi Sad das ungarische Gymnasium besuchen. 1944 wurde er als 15-Jähriger verhaftet und erst nach Auschwitz und dann nach Buchenwald verschleppt. Diese Zeit - die Brutalität des KZ-Regimes, aber auch die Solidarität der kommunistischen Häftlinge in den Lagern - blieb für ihn prägend.

Titos Dolmetscher, Diplomat, Dissident

Im Nachkriegsjugoslawien studierte Ivanji Architektur und Germanistik. In den 1950er Jahren veröffentlichte er erste Romane, wurde Theaterleiter, Journalist und - ab Mitte der 1960er Jahre - Dolmetscher für den jugoslawischen Machthaber Josip Broz Tito. So saß er fast zwei Jahrzehnte lang am gleichen Tisch mit deutschsprachigen Gesprächspartnern der jugoslawischen Führung wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, Walter Ulbricht, Erich Honecker und Bruno Kreisky. 

Schriftsteller Ivan Ivanji im DW-Gespräch

Von 1974 bis 1978 war er als jugoslawischer Kulturattaché in Bonn tätig. Von 1982 bis 1988 war er Generalsekretär des jugoslawischen Schriftstellerverbandes. Obwohl er hauptsächlich als Romanschriftsteller bekannt ist, schrieb Ivan Ivanji auch Beiträge zu politischen Themen für deutsche Zeitungen und Zeitschriften - unter anderem für die DW.

Nachdem Slobodan Milosevic 1987 mit dem Bund der Kommunisten Serbiens die Macht in Jugoslawien erlangt hatte, verließ Ivanji aus Protest die Partei.

Tod in Weimar

Sein Sohn Andrej Ivanji, der Chef des Auslandsressorts der Belgrader Wochenzeitung Vreme, der auch für deutschen Medien schreibt, verbreitete über Facebook die Nachricht von dem unerwarteten Tod seines Vaters in Weimar:

"Ivan Ivanji ging unter seinen Bedingungen. Er segnete die Titelseite für sein neues Buch "Es war einmal in Jugoslawien" im Laguna-Verlag ab, er hatte eine Lesung im Theater in Weimar, er eröffnete das Museum über Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, er gab einige Interviews für deutsche Medien. Abends aß er Spargel und trank Weißwein in Goethes Lieblingslokal "Weißer Schwan", redete über seinen weißen Schwan Dragana (seine verstorbene Ehefrau, die ehemalige Ballerina, Anm. d. Red.), ging zu Hitlers Lieblingshotel "Elephant", in dem er dem Führer zum Trotz gerne übernachtete, legte sich ins Bett und schlief ein, diesmal für immer. Und zwar am 9. Mai 2024, am Tag des Sieges über den Faschismus, im Alter von 96 Jahren, in der Stadt, in die er vor genau 80 Jahren von den Nazis zwangsverschleppt wurde, damit er dort umkommt. Er erledigte seinen Job. Seine zwei Kinder, vier Enkelkinder und drei Urenkel tragen ihm ein wenig nach, dass er nicht 100 Jahre alt wurde. Aber, was kann man machen, er war eigensinnig."

Ivan Ivanji war auch der DW verbunden und hatte immer wieder Artikel und Kolumnen auf dw.com veröffentlicht. 

Ein Mann mit schwarz-grau meliertem Haar blickt in die Kamera
Dragoslav Dedovic Journalist, Autor, Reporter