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Fußballfans und ihre Rolle in Israels Protesten

Felix Tamsut
30. März 2023

Bei den Protesten gegen die umstrittene Justizreform in Israel ist es zu zahlreichen gewalttätigen Zwischenfällen gekommen. Unter den Protestierenden befinden sich auf beiden Seiten politisch engagierte Fußballfans.

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Demonstranten gegen Israels Justizreform setzen in Tel Aviv Barrikaden in Flammen
Demonstranten gegen Israels Justizreform setzen in Tel Aviv Barrikaden in FlammenBild: Amir Levy/Getty Images

Aufgrund von massivem öffentlichen Druck hat Israels Premierminister Benjamin Netanyahu die umstrittenen Pläne seiner Regierung für eine weitreichende Justizreform gestoppt. Der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir von der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit (Jüdische Stärke) teilte mit, er habe sich mit Netanjahu auf eine Verschiebung bis nach der Parlaments-Pause (2. bis 30. April) verständigt. Die politischen Gegner sehen das Problem aber nicht gelöst und befürchten weiterhin eine Untergrabung der israelischen Demokratie durch das Vorhaben der Regierung.

Hunderttausende hatten in den vergangenen Wochen auf den Straßen gegen die Pläne von Justizminister Yariv Levin aus Netanjahus konservativer Likud Partei und dem rechtsextremen und ultrareligiösen Ben-Gvir protestiert und das ganze Land in Atem gehalten.

Auf der anderen Seite demonstrierten auch Zehntausende Befürworter der Pläne des rechts-religiösen Regierungsbündnisses. Auf beiden Seiten waren auch organisierte und politische Fußball-Fans dabei und brachten die Auseinandersetzung von der Straße auch in die Stadien.

"Wer nicht springt, der ist Faschist"

Unter den Protestierenden gegen die Regierungspläne sind Mitglieder von unterschiedlichen Fan-Gruppierungen des Klubs Hapoel Tel Aviv, der seine Ursprünge in der Arbeiterbewegung hat und besonders für seine Fußballmannschaft aus Israels höchster Spielklasse Ligat ha’Al bekannt ist. Doch auch beim international bekannten Basketball von Hapoel protestierten zuletzt einige hundert Anhänger. 

Demonstrationen gegen die Justizreform in Tel Aviv im März 2023
Unter den Demonstranten auf beiden Seiten befinden sich auch Fangruppierungen aus dem israelischen FußballBild: Amir Cohen/REUTERS

"Wer nicht springt, der ist Faschist", skandierten die auf- und abhüpfenden Hapoel-Fans und sangen in Anspielung auf die von der rechten Partei PiS vor einigen Jahren in Polen forcierte Justizreform: "Yariv Levin, wir sind hier nicht in Polen." Damit attackierten die politisch mehrheitlich mitte-links orientierten Hapoel-Fans einen aus den eigenen Reihen, denn der rechtskonservative Justizminister ist ebenfalls bekennender Hapoel-Anhänger und regelmäßiger Besucher der Heimspiele der Fußballer. 

St. Paulis Fanszene involviert

"Ultras Hapoel 99" (UH99) ist die größte Ultragruppierung des Klubs und steht für eine antifaschistische und antirassistische Haltung. Die Hapoel-Ultras unterhalten Verbindungen zu mehreren politisch gleich oder ähnlich eingestellten Ultragruppierungen von Klubs aus ganz Europa, zum Beispiel beim Zweitligisten FC St. Pauli.

Zwischen den Ultras von Hapoel und der bekanntesten rechtsextremen Fanszene "La Familia" des Klubs Beitar Jerusalem gab es zuletzt massive Spannungen. Anfang März wurde das Trainingsgelände von Hapoel Ziel eines laut israelischen Behörden "gezielten Brandanschlags". Eine Untergruppierung von "La Familia", die selbsternannten "Traditionshüter" posteten auf ihrem Instagram-Kanal ein Video, auf dem Teile des Jugendtrainingszentrums in Brand stehen und dazu ein Foto eines Graffitis auf dem geschrieben stand: "Der Holocaust war nicht das einzige Mal, dass ihr verbrannt wurdet." 

Ein Polizist auf einem Pferd bei den Demonstrationen gegen die geplante Justizreform in Israel.
Den israelischen Sicherheitsbehörden wird in Teilen übertriebene Gewalt gegen Demonstranten vorgeworfenBild: Chen Junqing/Xinhua/IMAGO

Beim Zweitliga-Spiel zwischen dem FC St. Pauli und Greuther Fürth reagierten die St. Pauli-Ultras mit einer Solidaritätsbekundung für ihre israelischen Freunde. "Solidarität mit Hapoel Tel Aviv FC", war auf einem Spruchband in St. Paulis Südkurve zu lesen. Weitere Botschaften der St. Pauli-Fans gegen Beitar Jerusalem und gegen Nazis blieben von der Gegenseite nicht unbeantwortet. Beim Duell zwischen Beitar und Hapoel in der israelischen Liga richteten sich die Beitar-Anhänger mit einem Spruchband gegen die Aktion in Deutschland. "Lieber FC St. Pauli, wenn ihr denkt, seid stark genug, kommt und stellt euch mit UH99 gegen uns - F*** Antifa!"

Beitar-Fans pro Regierung

Auch die Aktionen von "La Familia" beschränken sich nicht auf die Stadion-Tribünen. Mitglieder der Gruppierung waren während der Proteste in Israel auf Seiten der Pro-Regierungs-Demonstranten und stellten sich hinter die umstrittene Justizreform. Wenige Stunden nach Bekanntgabe der Unterstützung der Pro-Regierungs-Demonstrationen durch "La Familia" kursierten auf Social-Media-Plattformen Videos von schwarz gekleideten jungen Menschen, die die Aufschrift "LF" auf T-Shirts trugen.

Brennende Barrikaden und Demonstranten bei den Protesten gegen die geplante Justizreform in Israel.
Die Gewalt auf Israels Straßen hat in den vergangenen Wochen immer neue Höhepunkte erreichtBild: Ariel Schalit/AP Photo/picture alliance

Ein arabischsprachiger Journalist wurde von einer Gruppe junger Männer erst an seiner Arbeit gehindert und dann angegriffen, während andere mit "La-Familia"-Flaggen daneben standen. Medienberichten zufolge sollen Mitglieder von "La Familia" außerdem einen arabischstämmigen Taxifahrer während der Pro-Regierungs-Proteste in Jerusalem angegriffen haben.  

Geschichte von politischer Gewalt

Es ist nicht das erste Mal, dass die Gruppierung außerhalb des Fußball-Rahmens in Erscheinung tritt. Mitglieder von "La Familia" unterstützten Premierminister Benjamin Netanjahu bereits, als 2020 Korruptionsvorwürfe und Rücktrittsforderungen gegen ihn laut wurden. Damals waren von" La Familia" rassistische Parolen ausgerufen und Journalisten, sowie linke und palästinensische Gegendemonstranten attackiert worden. 

Die Verbindungen von "La Familia" in Teile der politisch rechten Kreise Israels, insbesondere zum rechtsradikalen Sicherheitsminister Ben-Gvir sind bekannt. In seinem Beruf als Rechtsanwalt vertrat Ben-Gvir Mitglieder der Gruppierung in mehreren Prozessen. Bei Spielen von Beitar Jerusalem - insbesondere gegen den bekanntesten arabischen Verein Israels, Bney Sakhnin - unterstützte er in der Vergangenheit Sprechchöre mit gewaltverherrlichenden und rassistischen Inhalten. 

Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir (rechts) gratuliert Premierminister Benjamin Netanyahu (links) zur Wahl.
Sicherheitsminister Ben-Gvir (r.) mit Premierminister Benjamin Netanyahu (l.)Bild: Amir Cohen/AFP

Als Sicherheitsminister ist Ben-Gvir eine der treibenden Kräfte hinter den Plänen zur geplanten Justizreform und als Oberbefehlshaber der israelischen Sicherheitskräfte mutmaßlich verantwortlich für Gewalt gegen Protestierende. Der ultrareligiöse Politiker gilt außerdem als Fürsprecher der rechtsextremen "Kach"-Bewegung, die 1994 verboten wurde, nachdem ihr Anhänger Baruch Goldstein in Hebron 29 Palästinenser ermordet hatte. Bevor Ben-Gvir Minister in Netanjahus Regierung wurde, zierte ein Foto von Goldstein die Wand in Ben-Gvirs Büro. 

Ungeachtet der Verschiebung zur Abstimmung über die Justizreform seitens der Regierung gehen die Proteste auf den Straßen weiter. Israel ist derzeit ein gespaltenes Land. Ein Ende der Proteste und der Zusammenstöße zwischen Gegnern und Befürwortern ist nicht in Sicht. Je länger der Konflikt andauert, desto größer wird die Rolle, die organisierte Fußballfans bei der politischen Gewalt auf den Straßen Israels spielen.

Aus dem Englischen adaptiert von David Vorholt