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PolitikAsien

China als neuer Streitschlichter in Nahost?

28. März 2023

Pekings Vermittlung zwischen den Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran wirft ein Schlaglicht auf die Wahrnehmung und die Rolle der USA in der Krisenregion Nahost - und der Welt.

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Der saudische Unterhändler Musaad bin Mohammed Al Aiban schüttelt am 10.03.2023 die Hand des iranischen Vertreters Ali Shamkhani. Zwischen beiden steht das chinesische Politbüromitglied, der Chefdiplomat Wang Yi. Im Hintergrund sind die Flaggen Chinas, Irans und Saudi-Arabiens zu sehen.
Erzrivalen reichen sich die Hände - in Peking: Vertreter Saudi-Arabiens (l) und Irans (r) mit dem Vermittler aus China (m)Bild: CHINA DAILY via REUTERS

Dass Vertreter Saudi-Arabiens und Irans Anfang März fünf Tage zusammensaßen, war schon eine Sensation an sich. Dass die Erzrivalen am Persischen Golf sich am 10. März sogar auf die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen einigten, sorgte erst recht für Aufsehen. Dass die beiden verfeindeten Nachbarn sich aber ausgerechnet in Peking die Hände reichten, war die größte Überraschung an der Annäherung zwischen Riad und Teheran.

Seit der islamischen Revolution 1979 stehen sich Iran und Saudi-Arabien feindlich gegenüber. Seit über zehn Jahren unterstützen sie in Konflikten der Region gegnerische Parteien, führen Stellvertreterkriege. Seit sieben Jahren unterhalten sie keine diplomatischen Beziehungen mehr. Die erfolgreiche Vermittlung an der vielleicht gefährlichsten Bruchlinie des Nahen Ostens hat der Rolle Chinas in der Region eine neue Qualität verliehen.  

Vor einem blauen Himmel feuert im Jemen eine auf einem Lastwagen montierter Raketenwerfer eine Rakete ab. Mit einem Feuerschweif verlässt die Rakete das Gerät.
Krieg im Jemen: Auch hier unterstützen Saudi-Arabien und Iran gegnerische SeitenBild: Getty Images/AFP/S. Al-Obeidi

China: Beziehungen zu allen Seiten

Die USA, lange unbestrittene Gestaltungsmacht am Golf, seien für eine Vermittlung ausgefallen, analysiert Julien Barnes-Dacey, Direktor des Nahost-Programms beim Thinktank European Council on Foreign Relations, ECFR. Denn Washington unterhielte keinerlei Beziehungen zu Teheran und habe "nur sehr wenig konstruktiven Einfluss, um hier eine Einigung zu erzielen". Barnes-Dacey ergänzt: "Die grundlegende Realität hier ist: China konnte eingreifen, weil es Beziehungen zu allen Seiten und Einfluss auf sie hatte, um das voranzutreiben."

Dieser Einfluss beruht vor allem auf der Wirtschaft: Sowohl für Iran wie auch für Saudi-Arabien sei China der mit Abstand wichtigste Handelspartner, erklärt der ehemalige US-Diplomat Jeffrey Feltman. Auch in anderen Teilen des Nahen Ostens sei der Handelsaustausch mit China dreimal so groß wie der mit den USA. "Wir können Chinas Bedeutung für diese Region nicht ignorieren", folgert Feltman.

Zwei in arabische Gewänder gekleidete Männer blicken im Hafen von Ras al-Khair auf einen Öltanker
Öltanker in Saudi-Arabien: China ist für seine Energieversorgung auf die Golfregion angewiesenBild: Giuseppe Cacace/AFP/Getty Images

Sebastian Sons vom Bonner Nahost-Thinktank CARPO ist gerade in Katar, als ihn die DW für ein Telefoninterview erreicht. Der Nahost-Experte beobachtet, dass China am Golf verstärkt nicht mehr nur als wirtschaftlicher Partner wahrgenommen werde, sondern auch als möglicher politischer und sogar sicherheitspolitischer Partner. Sons sieht in der Vereinbarung von Peking eine klare Aufwertung Chinas. Zugleich registriert er, "dass die USA, übrigens Europa auch, in den vergangenen Jahren in der Region massiv an Vertrauen verloren haben und dementsprechend als wirklich ernstzunehmender Deal-Broker oder Mediator eigentlich kaum noch wahrgenommen wurden".

Wenig Begeisterung in Washington

Mit erwartbar gedämpfter Begeisterung hat die US-amerikanische Politik Pekings Vermittlungserfolg wahrgenommen. "Chinas Rolle dabei wird die Herzen in Washington nicht gerade erwärmen", fasste Michael Singh vom Washington Institute for Near East Policy die Stimmung in einem Tweet zusammen.

Die US-Regierung hat das Abkommen vorsichtig begrüßt - und versucht ansonsten, Chinas Vermittlerrolle herunterzuspielen. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, packte sehr viele Vorbehalte in seine erste Reaktion auf den Vertragsschluss von Peking: "Wenn dieses Abkommen aufrechterhalten werden kann - unabhängig von den Interessen oder davon, wer sich an den Tisch gesetzt hat -, wenn es aufrechterhalten werden kann und der Krieg im Jemen beendet werden kann und Saudi-Arabien nicht ständig versuchen muss, sich gegen Angriffe der Huthis zu verteidigen, die vom Iran finanziert und unterstützt werden, dann begrüßen wir das letztlich."

Auch Jeffrey Feltman, der für die Vereinten Nationen in zahlreichen Konflikten vermittelt hat, erinnert an einen wesentlichen Fakt: Diplomatische Beziehungen bedeuten längst nicht das Ende der strategischen Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.

Großmachtrivalität im Hintergrund

Aber der frühere US-Diplomat sieht Chinas Vermittlung auch im Kontext der Systemrivalität zwischen Peking und Washington. Und da nimmt er eine deutliche Verschiebung der Verhältnisse wahr, auf die sich die US-Politik einstellen müsse. Die USA müssten akzeptieren, dass auch Länder wie Saudi-Arabien, mit denen die USA seit 75 Jahren enge Beziehungen unterhalten, sich in Zukunft in alle Richtungen absicherten. "Sie werden sich gegen Druck wehren, sich dem einen oder anderen Lager zuzuordnen. Wir sehen das am Krieg Russlands in der Ukraine. Und wir sehen es an der Rivalität zwischen den USA und China: Es gibt viele Länder, zu denen die USA enge Beziehungen hatten und immer noch haben, von denen wir aber nicht erwarten können, dass sie sich in der Rivalität mit China auf unsere Seite schlagen werden", beobachtet Feltman.

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman sitzt gemeinsam mit Xi Jinping vor einem mit Blumen gedeckten Tisch, im Hintergrund die Fahnen Chinas und Saudi-Arabiens
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (r) soll sich persönlich mit Chinas Staatschef Xi Jinping (l) besser verstehen als mit US-Präsident Joe BidenBild: Bandar Algaloud/Saudi Royal Court/REUTERS

Angesichts der politischen Großwetterlage positionierten sich die Länder am Golf neu, ist sich auch die Nahost-Expertin Dina Esfandiary vom Brüsseler Thinktank Crisis Group sicher. Mit unangenehmen Folgen für Washington: "Die kleineren Länder werden die Großmächte gegeneinander ausspielen, um den größtmöglichen Nutzen aus ihren Beziehungen zu ziehen."

Pekinger Imagepflege

Wie sehr die Staaten der Region auf Multipolarität setzen, wurde Anfang Dezember deutlich: Da wurde Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping in Riad mit allen Ehren beim ersten Arabisch-Chinesischen Gipfeltreffen überhaupt begrüßt. Nebenbei wurde da auch der Eindruck ausgeräumt, es gehe China am Golf lediglich um wirtschaftliche Beziehungen. Was insofern nicht verwunderlich ist, als ein bedeutender Teil von Chinas Energieversorgung von stabilen Verhältnissen in der Golfregion abhängt. Crisis-Group-Expertin Esfandiary sieht aber ein weiteres Motiv für Pekings verstärktes Engagement: "China versucht, sich als alternatives Modell, als Partner, als Vermittler zu präsentieren - und als verschieden vom westlichen Modell."

Der saudisch-iranische Händedruck passt zu einer diplomatischen Offensive, mit der sich China als friedensstiftende Kraft des Ausgleichs darstellen will. Nur wenige Tage nach dem saudisch-iranischen Deal verkündete Xi Jinping eine "Global Civilization Initiative". Im Frühjahr 2022 hatte Xi bereits die "Global Security Initiative" ausgerufen und 2021 die "Global Development Initiative" - Papiere mit vagen Formulierungen und wenig konkreten Verpflichtungen. Im Westen wurden diese Vorstöße nur am Rande wahrgenommen. Im Globalen Süden aber kann Peking sein Image aufpolieren - und im Systemwettbewerb punkten.

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein